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17 Ziele im Fokus – Wolfgang Lührsen vom BUND Hamburg

17 Ziele im Fokus mit Wolfgang lührsen,Verteter für den BUND Landesverband Hamburg im NFH

Wolfgang Lührsen vertritt im Nachhaltigkeitsforum den BUND Landesverband Hamburg. Er ist dort stellvertretender Vorsitzender sowie Sprecher des Arbeitskreises Suffizienz.

Wolfgang ist promovierter Physiker und beschäftigt sich mit den „großen“ Fragen wie Ressourcen, Wachstum und Gerechtigkeit. Seine Analyse lautet, dass sich die Welt auf einem extrem nicht-nachhaltigen Pfad befindet. Alle Versuche, dies zu ändern, seien bisher an den Beharrungskräften der Externalisierungsgesellschaft gescheitert. Sein Ansatz ist: „Wie kann ein gutes Leben für alle, heute und zukünftig Lebende aussehen und von welchen ‚Glaubenssätzen‘ müssen wir uns dafür verabschieden?“ – „Ja, aber“-Antworten seien nicht erlaubt.

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Wolfgang, mit welchen SDGs beschäftigst du dich hauptsÄchlich und wie kannst du Diese Arbeit iM NFH Einbringen?

Da muss ich etwas weiter ausholen. Die 17 SDGs sind sicher eine gute Beschreibung dessen, wie eine gerechte und zukunftsfähige Welt aussehen sollte. Aber sind die 17 SDGs mit ihren 169 Unterzielen auch ein guter Weg, um eine zukunftsfähige Welt zu erreichen? Ich habe da starke Zweifel. Können die Ziele überhaupt gleichzeitig erreicht werden? Wie kann ein Akteur, der an einem SDG arbeitet, ausschließen, dass dies negative Folgen für ein anderes SDG hat? Die Ziele werden als „unteilbar“ beschrieben, d. h., sie sollen zusammen erreicht werden, sind also gleich wichtig. Das klingt letztlich nach dem Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit, welches schon seit 20 Jahren veraltet ist. Es besteht inzwischen Einigkeit in der Wissenschaft, dass die Natur die Grundlage unseres Lebens und Wirtschaftens ist, dass also die SDGs 6, 13, 14, 15 höher zu gewichten sind („There are no jobs on a dead planet“). Das Stockholm Resilience Center hat dafür einen Vorschlag zur Priorisierung der SDGs gemacht:

 

Aber was fordern denn die SDGs beispielsweise zum Klima? Schaut man sich die Unterziele an, sind sie äußerst vage gehalten und nennen keinerlei Zahlen zur Eindämmung des Treibhauseffekts. Man muss also beim Klima in jedem Fall noch die Forderungen aus dem Pariser Abkommen hinzuziehen. Eine weitere Herausforderung sind die ungeklärten Widersprüche zwischen einzelnen SDGs. So steht zum Beispiel das SDG 8 (Wirtschaftswachstum) im diametralen Gegensatz zu den SDGs 6, 13, 14, 15, und – so zeigt es die Empirie – zu SDG 10, denn Ungleichheiten nehmen ständig zu, in Krisen noch mehr als in sogenannten „normalen“ Zeiten. Der Kardinalfehler ist jedoch, dass es mit den SDGs keine Verpflichtung zur Umsetzung und es natürlich auch keine Sanktionen für die Nicht-Umsetzung gibt. So ist abzusehen, dass die SDGs bis 2030 nicht erreicht sein werden, genauso wenig wie die MDGs, die Millenium Development Goals, im Jahre 2015 nicht erreicht wurden. Ausgenommen davon ist das SDG 8 Wirtschaftswachstum, welches das erklärte Ziel aller Politik ist. Wohin es führt, wird im Grundlagenwerk Gablers Wirtschaftslexikon beschrieben: „Ziel der Wirtschaft ist [...] in ihrer kapitalistischen Form, die Maximierung von Gewinn [...] und Wachstum bis zum (nicht unbedingt gewünschten, aber erwartbaren) Kollaps des Systems."

Wie bewertest du den Umsetzungsstand der sdgs in Hamburg?

Es ergibt meines Erachtens keinen Sinn, den Stand einzelner SDGs zu bewerten, wenn in der Politik ein nicht-nachhaltiges Mindset vorherrscht. Im aktuellen Koalitionsvertrag des rot-grünen Senats wird weiteres Wirtschaftswachstum gefordert. Autobahnen sollen gebaut werden, derweil werden Hinweise des wissenschaftlichen Klimabeirats zu Infrastruktur-Ausbau und Wohnungsneubau zurückgewiesen. Die Entwicklung geht also weiter in Richtung Nicht-Nachhaltigkeit. Vor diesem Hintergrund entbehren Aussagen, dass Hamburg sich an der 1,5 Grad-Grenze orientiere oder die erste klimaneutrale Metropole Europas werden wolle, jeglicher Realität.

Worin siehst du die größten  Hebelpunkte  Und Potentiale für nachhaltige Entwicklung in Hamburg?

Wir müssen uns eingestehen, dass wir sozusagen im „Autopilot-Modus“ in die ökologische Katastrophe hineinrasen, auch wenn derzeit alles noch halbwegs normal aussieht. Hitzewellen, Überschwemmungen und Brände scheinen weit weg zu sein. Dabei werden die Alarmrufe des Weltklimarats immer schriller und von den 20 sogenannten Aichi-Zielen der Biodiversität ist nicht ein einziges vollständig erfüllt. Wir müssen uns auch eingestehen, dass niemand die Welt für uns „retten“ wird: Die Wirtschaft ist primär ihren Shareholdern verpflichtet und die Politiker*innen sind dem „Arbeitsplätze-Argument“ allzu leicht zugänglich,  so wie sie auch den Zeithorizont zur nächsten Wahl häufig mitdenken. In dieser Situation gibt es nur einen Akteur, der uns aus der festgefahrenen Position herausbringen kann – und das ist die Zivilgesellschaft, also wir. Und dies ist der eine Punkt, der mich derzeit zuversichtlich macht: Ich habe ein sehr hohes Vertrauen, dass Bürger*innenräte, also eine repräsentativ ausgewählte Gruppe von Bürger*innen, die sich umfassend informieren und ausreichend diskutieren kann, zu einem ausgewogenen und mutigen Ergebnis kommen. Das haben Bürger*innenräte in Irland, Frankreich und auch in Deutschland bewiesen, auch wenn die Empfehlungen bislang entweder von der Politik geschreddert (Klimarat Frankreich) oder nicht beachtet (Klimarat Deutschland) worden sind. Ich sehe also das größte Potential, um in Hamburg voranzukommen, in der Einsetzung eines Bürger*innenrats zur Beantwortung der Frage, mit welchen Maßnahmen wir die multiplen Krisen abfedern können und ob – bzw. unter welchen Umständen – wir Mitbürger*innen bereit sind, diese Maßnahmen zu tragen.

Was sind aus deiner Sicht die notwendigen nächsten Schritte für die Umsetzung der SDGs in Hamburg?

Als nächsten Schritt sehe ich die Einberufung eines solchen Bürger*innenrats in Hamburg. Senat und Bürgerschaft sollen sich verpflichten, dessen Empfehlungen ernsthaft zu prüfen und nach dem Prinzip „Comply or explain“ umzusetzen. Soweit es sich um Empfehlungen handelt, die nicht auf der Ebene der Stadt gelöst werden können, soll der Senat die Maßnahmen in den Bundesrat und andere geeignete Gremien tragen. Machen wir den „Hamburger Bürger*innenrat Zukunft“ zu einem Markenzeichen, das so eng mit Hamburg verknüpft ist, wie Fahrradfahren mit Kopenhagen oder Wohnen mit Wien!

Was ist deine persönliche Vision für Hamburg im Jahr 2030?

Ich wünsche mir, dass Hamburg nicht länger auf die verheerenden Steigerungslogiken des Immer-Mehr-Verbrauchs setzt, dass ernsthafte Anstrengungen unternommen werden, damit die planetaren Belastungsgrenzen nicht mehr überschritten werden und dass es eine von Ehrlichkeit, Offenheit und Transparenz getragene Kommunikation des Senats mit den Bürger*innen Hamburgs gibt.

Vielen Dank, Wolfgang! Wir freuen uns auf die Weitere gemeinsame Arbeit mit dir!

Die Fragen und das Interview wurden vorbereitet von Elvira Hinz, wissenschaftliche Referentin des NFH.

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