„WIE KANN DAS FUNKTIONIEREN?“ — DAS LIEFERKETTENGESETZ, SEINE ADRESSATEN, SEINE FOLGEN

Am 03.12. dis­ku­tier­ten sechs Exper­tin­nen und Exper­ten auf Ein­la­dung des Nach­hal­tig­keits­fo­rums Ham­burg auf dem vir­tu­el­len Podi­um und berei­cher­ten mit viel­fäl­ti­gen Sicht­wei­sen die aktu­el­le Debat­te zum geplan­ten Lie­fer­ket­ten­ge­setz. Das Lie­fer­ket­ten­ge­setz soll die Durch­set­zung und Ein­hal­tung sozia­ler und öko­lo­gi­scher Stan­dards in der glo­ba­len Wert­schöp­fung stär­ken. Damit greift es die Nach­hal­tig­keits­zie­le der Ver­ein­ten Natio­nen auf, zu deren Umset­zung sich Deutsch­land 2015 ver­pflich­tet hat. Ins­be­son­de­re Ziel 8: Men­schen­wür­di­ge Arbeit und Wirt­schafts­wachs­tum und Ziel 12: Nach­hal­ti­ger Kon­sum und Pro­duk­ti­on wer­den durch das geplan­te Lie­fer­ket­ten­ge­setz mit Leben gefüllt. Ein Kon­sens konn­te auf dem Podi­um nicht erreicht wer­den – kein Wun­der, denn ein Gesetz wür­de die Dis­ku­tie­ren­den in unter­schied­li­chem Aus­maß betref­fen. Der Sozi­al­psy­cho­lo­ge und Publi­zist Harald Wel­zer kon­sta­tier­te zum Ende der 2‑stündigen Debat­te: „Das Pro­blem ist: Sie alle haben Recht.“ Es sei schlicht­weg schwie­rig, inner­halb des Sta­tus Quo, also des gegen­wär­ti­gen hoch­kom­ple­xen glo­ba­li­sier­ten und auf Wachs­tum aus­ge­rich­te­ten Wirt­schafts­sys­tems gleich­zei­tig Gewinn zu erwirt­schaf­ten und gleich­zei­tig einen posi­ti­ven Ein­fluss auf Natur und Mensch zu haben. Viel­mehr müs­se man über­le­gen, ob der glo­ba­le Han­del über Jahr­hun­der­te nicht per se schon falsch ange­legt sei, um „nach­hal­tig“ zu funktionieren.

Chris­ti­na von Hobe, Legal Coun­sel und Dr. Sarah Tischer, Head of Com­pli­ance der Neu­mann Grup­pe GmbH, star­te­ten die durch Dr. Delia Schind­ler leb­haft und fach­lich sehr ver­siert mode­rier­te Debat­te mit einem Ein­blick in die Kaf­fee­lie­fer­ket­te. Schnell wer­den die Her­aus­for­de­run­gen des Geset­zes­ent­wurfs deut­lich. Denn selbst bei einer ver­meint­lich ein­fa­chen Lie­fer­ket­te wie der des Kaf­fees geht es um aktu­ell 15 Mio. Kaffeeproduzent*innen in 60 Län­dern welt­weit im so genann­ten Kaf­fee­gür­tel ent­lang des Äqua­tors.  Eine Rück­ver­folg­bar­keit von der Tas­se bis auf den Berg, wo die Kaf­fee­kir­schen wach­sen, ist eine her­aus­for­dern­de Auf­ga­be. Kaf­fee­ern­te ist Fami­li­en- und Hand­ar­beit und vie­le Part­ner und nicht zuletzt die Wan­der- und Sai­son­ar­bei­ter sind den Impor­teu­ren nicht per­sön­lich bekannt.

Der aktu­el­le Ent­wurf des bereits gele­ak­ten Eck­punk­te­pa­piers zum Gesetz – des­sen offi­zi­el­le Ver­öf­fent­li­chung noch vor Weih­nach­ten erwar­tet wird – ver­lei­te dazu, dass betrof­fe­ne Unter­neh­men die Ver­ant­wor­tung durch Ver­trags­klau­seln und viel Büro­kra­tie an die vor­ge­la­ger­ten Lie­fer­part­ner wei­ter­ge­ben – ohne die inten­dier­ten Effek­te wirk­lich part­ner­schaft­lich und pro­zess­ori­en­tiert zu för­dern. Bran­chen­spe­zi­fi­sche Lösun­gen und ‑initia­ti­ven sei­en der kon­struk­ti­ve­re Weg als ein „one size fits it all“ – Ansatz.

Dr. Tom Pfan­nen­schmidt, Geschäfts­füh­rer der K.-W. Pfan­nen­schmidt GmbH, belie­fert etwa 600 ver­schie­de­ne Unter­neh­men der Pharma‑, Kos­me­tik- und Lebens­mit­tel­bran­che mit über 1000 wei­ter­ver­ar­bei­te­ten Natur­stof­fen. Er stellt den ande­ren Podi­ums­gäs­ten und den 100 Live-Zuschauer*innen im Stream vor, dass Vit­amin C aus Mais­glu­co­se gewon­nen wird – und dabei etwa 10 Ver­ar­bei­tungs­stu­fen durch­läuft. Mit 45 Beschäf­tig­ten wäre der Fami­li­en­be­trieb indi­rekt von dem Gesetz betrof­fen. Das Ham­bur­ger Unter­neh­men befin­det sich etwa in Ver­ar­bei­tungs­stu­fe 8. Nach­hal­tig­keits­stan­dards sind wich­tig und kein neu­es The­ma für das Unter­neh­men – aller­dings ver­lässt man sich bis dato auf durch unab­hän­gi­ge Drit­te geprüf­te Zer­ti­fi­zie­run­gen in der Vor­stu­fe. Per­spek­ti­visch dar­über hin­aus ver­ant­wort­lich zu sein und sogar für die Nicht-Ein­hal­tung von Umwelt- und Sozi­al­stan­dards von ande­ren zu haf­ten, über­steigt bei den klei­nen gehan­del­ten Men­gen die Ein­fluss­mög­lich­kei­ten und Kapa­zi­tä­ten des Betriebs.

Vio­la Wol­ge­muth ist Kam­pai­gne­rin für Che­mi­ka­li­en und Kon­sum bei Green­peace e.V. und Spre­che­rin der bun­des­wei­ten Initia­ti­ve Lie­fer­ket­ten­ge­setz. Sie sagt: Das von Green­peace gefor­der­te Lie­fer­ket­ten­ge­setz ist sehr wohl umsetz­bar und das wur­de bei­spiels­wei­se bereits im Rah­men der Detox-Kam­pa­gne für Tex­ti­li­en belegt. Mit einem durch­gän­gi­gen Che­mi­ka­li­en­ma­nage­ment, einer Daten­bank mit allen Lie­fe­ran­ten und Was­ser­da­ten sowie einer dar­auf auf­bau­en­den geziel­ten Sub­sti­tu­ie­rung von Che­mi­ka­li­en konn­ten in der hoch­kom­ple­xen Tex­til­lie­fer­ket­te Umwelt- und Gesund­heits­schä­di­gung durch 11 Che­mi­ka­li­en­grup­pen redu­ziert werden.

Erik Wes­sels ist Lei­ter des Help­desk Wirt­schaft & Men­schen­rech­te der Agen­tur für Wirt­schaft und Ent­wick­lung und berät mit sei­nem Team im Auf­trag des BMZ Unter­neh­men ver­trau­lich und kos­ten­frei zur Umset­zung des Natio­na­len Akti­ons­plans Wirt­schaft und Men­schen­rech­te (NAP). Er ist sicher: Alle Anstren­gun­gen loh­nen sich, denn es wird ste­tig wach­sen­de Anfor­de­run­gen an Unter­neh­men geben, auch auf inter­na­tio­na­ler Ebe­ne. Es gibt auch bereits vie­le Rege­lun­gen, die noch nicht voll­um­fäng­lich umge­setzt wer­den und aktu­ell die Unter­neh­men im Wett­be­werb benach­tei­li­gen, die Nach­hal­tig­keit pro­ak­tiv ange­hen. Das muss sich umkeh­ren: eine gute Nach­hal­tig­keits­per­for­mance muss Vor­teil für Unter­neh­men sein — auf frei­wil­li­ger Basis ist bis­her noch zu wenig pas­siert, zumal ein Gesetz auch end­lich für mehr Trans­pa­renz bei Verbraucher*innen füh­ren könnte.

Bei dem Stich­wort steigt auch Harald Wel­zer ein und stellt die The­se auf, dass das Lie­fer­ket­ten­ge­setz ver­mut­lich nicht alle Her­aus­for­de­run­gen des glo­ba­len Han­dels wird lösen kön­nen, aber ein gro­ßes kom­mu­ni­ka­ti­ves Poten­ti­al besitzt. Denn eine gesetz­lich ver­pflich­ten­de Aus­ein­an­der­set­zung mit den Pro­duk­ti­ons­be­din­gun­gen bear­bei­tet auf jeden Fall ein aktu­el­les gesell­schaft­li­che Phä­no­men, und zwar die eta­blier­te Unsicht­bar­ma­chung der Her­kunft und Auf­wän­de von dem, was wir alle täg­lich kon­su­mie­ren: „Das gan­ze Zeug kommt von irgendwoher!“

Wenn wir die Nach­hal­tig­keits­zie­le der Ver­ein­ten Natio­nen ernst­haft umset­zen wol­len, dann gehe nun mal kein „Wei­ter so“. Wir könn­ten das Sys­tem zwar nicht ad hoc ändern. Die Dis­kus­si­on um das Gesetz brin­ge aber vie­le Dis­kre­pan­zen unse­rer Kon­sum­mus­ter auf die Büh­ne, so auch das Wachs­tums­pa­ra­dig­ma, Kos­ten­ef­fi­zi­enz und gleich­zei­tig mehr Nach­hal­tig­keit. Es sei nicht alles auf einen Nen­ner zu brin­gen, aber Dia­log und mehr Mut für neue Ansät­ze sei­en für eine nach­hal­ti­ge Ent­wick­lung unerlässlich.

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