17 Zie­le im Fokus mit Kath­rin Lenz — Ver­te­te­rin für Die Crad­le to crad­le NGO im NFH

Kath­rin Lenz ist stu­dier­te Geo­öko­lo­gin und Umwelt­wis­sen­schaft­le­rin. Vor fünf Jah­ren ist sie auf das Crad­le to Crad­le (kurz C2C) Kon­zept gesto­ßen und fand dar­in, was ihr bis dahin im Nach­hal­tig­keits­dis­kurs fehl­te: Weni­ger schlecht ist noch nicht gut, und eben auch nicht gut genug! Weni­ger Umwelt­zer­stö­rung ist noch kein Erhalt unse­rer Lebens­grund­la­ge, Reduk­ti­on unse­res Müll­auf­kom­mens löst das grund­sätz­li­che Müll­pro­blem nicht und lang­sa­me­res Auf­brau­chen end­li­cher Res­sour­cen macht uns noch nicht unab­hän­gig von ihnen. Seit­dem enga­giert sie sich ehren­amt­lich bei der C2C NGO als eine der Sprecher*innen der Regio­nal­grup­pe Ham­burg für geschlos­se­ne Stoff-Kreis­läu­fe und gesun­de Mate­ria­li­en – für eine Welt, in der kein Müll mehr exis­tiert, son­dern nur Wert- und Nähr­stof­fe. Mit wei­te­ren ehren­amt­lich täti­gen Kolleg*innen und der Unter­stüt­zung der NGO-Geschäfts­stel­le in Ber­lin arbei­te sie dar­an, das Crad­le to Crad­le Design­kon­zept durch Netzwerk‑, Bil­dungs- und Öffent­lich­keits­ar­beit in die Gesell­schaft zu tra­gen, zum Umden­ken anzu­re­gen und gemein­sam posi­ti­ve Zukunfts­vi­sio­nen zu entwickeln.

Kath­rin, Für wel­che SDGs setzt du dich in dei­ner Orga­ni­sa­ti­on ein und wie kannst du Die­se Arbeit iM NFH Einbringen?

Da das Crad­le to Crad­le Kon­zept ein umfas­sen­der, ganz­heit­li­cher Ansatz ist, leis­tet die Arbeit unse­rer C2C NGO einen posi­ti­ven Bei­trag zu fast allen SDGs. Haupt­säch­lich aber zu folgenden:

Im Crad­le to Crad­le Design­kon­zept ist die Pro­dukt­zir­ku­la­ri­tät, also Kreis­lauf­fä­hig­keit, zen­tra­les The­ma. Außer­dem spielt die Mate­ri­al­ge­sund­heit eine gro­ße Rol­le. Das Ziel: Pro­duk­te, die wir nut­zen oder ver­brau­chen, müs­sen, mög­lichst nach ver­schie­den­fa­cher Wie­der­ver­wen­dung, am end-of-life in tech­ni­sche oder bio­lo­gi­sche Kreis­läu­fe gehen kön­nen. Sie dür­fen kei­ne gesund­heits­schä­di­gen­de Wir­kung haben, son­dern müs­sen unbe­denk­lich für uns und unse­re Umwelt sein, soll­ten sie in die­se gelan­gen. Außer­dem müs­sen Her­stel­ler ver­ant­wort­lich mit der Res­sour­ce Boden, Was­ser und sau­be­rer Luft umge­hen. Über das Design­kon­zept hin­aus, ver­mit­telt C2C ein posi­ti­ves Men­schen­bild, mit dem wir gestal­te­risch und krea­tiv Wege fin­den in Rich­tung der Visi­on, einen mög­lichst gro­ßen posi­ti­ven Fuß­ab­druck in der Welt zu hin­ter­las­sen. So för­dert C2C ein gesun­des Leben und Wohl­erge­hen für alle und zahlt direkt auf SDG 3 „Gesund­heit und Wohl­erge­hen“, SDG 6 „Sau­be­res Was­ser und Sani­tär­ein­rich­tun­gen“, SDG 12 „Ver­ant­wor­tungs­vol­ler Kon­sum und Pro­duk­ti­on“, SDG 14 „Leben unter Was­ser“ und SDG 15 „Leben an Land“ ein. Dies ver­mit­teln wir in Ham­burg zum Bei­spiel auf regel­mä­ßi­gen Stadtrundgängen.

C2C sieht außer­dem vor, dass Kli­ma­aus­wir­kun­gen adres­siert und ent­ge­gen­ge­wirkt wird, also akti­ver Kli­ma­schutz geleis­tet wird, und dass alle Ener­gie aus rege­ne­ra­ti­ven Quel­len stammt. Es leis­tet damit einen Bei­trag zu SDG 7 „Bezahl­ba­re und sau­be­re Ener­gie“ und SDG 13 „Maß­nah­men zum Kli­ma­schutz“.

Das C2C Kon­zept ebnet den Weg zu einer umfas­send nach­hal­ti­gen Pro­duk­ti­ons­wei­se und bie­tet einen trans­for­ma­ti­ven Rah­men für eine wider­stands­fä­hi­ge, nach­hal­ti­ge Indus­trie, die letzt­end­lich posi­ti­ve sozia­le, öko­lo­gi­sche und wirt­schaft­li­che Aus­wir­kun­gen hat. Eine C2C Sicht auf Din­ge inspi­riert und för­dert Inno­va­tio­nen v.a. ent­lang des Pro­dukt­le­bens­zy­klus, da vie­les neu gedacht und Lösun­gen neu er- und gefun­den wer­den müs­sen (SDG 9 „Indus­trie, Inno­va­ti­on und Infra­struk­tur“). Von der Opti­mie­rung oder Ent­wick­lung neu­er Mate­ria­li­en, über das Über­den­ken von Pro­dukt­de­signs, was das Pro­dukt sowohl sicher, gesund als auch zir­ku­lär macht, bis hin zu neu­en Her­stel­lungs- und Rück­ge­win­nungs­pro­zes­sen, Rück­nah­me­infra­struk­tu­ren und Cir­cu­lar Geschäfts­mo­del­len. Bei­spie­le für C2C-inspi­rier­te Inno­va­tio­nen und Geschäfts­mo­del­le in Ham­burg sind Start­ups wie trace­l­ess, recy­cel­he­ro, runa­mics und SEA ME mit dem Mehr­weg-as-a-Ser­vice Sys­tem zerooo. All die­se beschrie­be­nen Ent­wick­lun­gen hel­fen, unse­re Städ­te wider­stands­fä­hig und nach­hal­tig wer­den zu las­sen (SDG 11 „nach­hal­ti­ge Städ­te und Gemein­den“).

Im NFH kön­nen wir unse­re Exper­ti­se, Erfah­rung und ent­wi­ckel­te Stra­te­gien sowie das NGO Netz­werk ein­brin­gen, ins­be­son­de­re in der AG Wirt­schaft, wie z.B. durch eine Stel­lung­nah­me zur Ham­bur­ger Stadtwirtschaftsstrategie.

Wie bewer­test du den Umset­zungs­stand der sdgs in Hamburg?

In unse­rer Regio­nal­grup­pen­ar­beit erle­ben wir immer wie­der, wie viel Inter­es­se, Taten­drang, Ideen­reich­tum und Ver­än­de­rungs­wil­le bei den Hamburger*innen vor­han­den ist, was sich zum Bei­spiel im Wir­ken zahl­rei­cher Nach­hal­tig­keits­in­itia­ti­ven zeigt.

Auf poli­ti­scher Ebe­ne in Ham­burg braucht es einer­seits noch eine ein­deu­ti­ge Hal­tung zur kon­se­quen­ten Umset­zung der SDGs in allen Berei­chen, an ande­rer Stel­le müs­sen Wor­ten Taten fol­gen. Das 1,5 Grad Ziel braucht mehr, als Kli­ma­neu­tra­li­tät bis 2050 – war­um so spät und war­um eigent­lich nicht klimapositiv?

Ham­burg tut sich als Indus­trie­stand­ort, Welt- und Han­dels­stadt lei­der auch noch nicht als Inno­va­ti­ons­stand­ort für Nach­hal­tig­keit her­vor. Wir brau­chen mehr gute Umset­zungs­bei­spie­le und Leucht­turm­pro­jek­te, wie z.B. das Mor­inga Ham­burg in der Hafen­Ci­ty, mit dem das ers­te Wohn­hoch­haus nach C2C in Deutsch­land entsteht.

Wor­in siehst du die größ­ten  Hebel­punk­te  Und Poten­tia­le für nach­hal­ti­ge Ent­wick­lung in Hamburg?

Aus C2C-Sicht liegt bei allen Städ­ten der größ­te Hebel im zir­ku­lä­ren Bau­en. Der Bau­sek­tor ist einer der res­sour­cen- und müll­in­ten­sivs­ten Wirt­schafts­sek­to­ren. Bun­des­weit machen laut UBA Bau- und Abbruch­ab­fäl­le über die Hälf­te (2019: 55,4%) des Abfall­auf­kom­mens aus. Das sind knapp 230 Mio t. Und allei­ne in Deutsch­land wer­den laut dem Zen­trum für Res­sour­cen­ef­fi­zi­enz jähr­lich 517 Mio. t mine­ra­li­scher Roh­stof­fe ver­baut. Das ent­spricht 90% der gesam­ten inlän­di­schen Ent­nah­me. Gleich­zei­tig steigt der Bedarf an Wohn- und Arbeits­raum in Städ­ten und Gemein­den welt­weit. Da besteht akut Handlungsbedarf.

Was sind aus dei­ner Sicht die not­wen­di­gen nächs­ten Schrit­te für die Umset­zung der SDGs in Hamburg?

Effi­zi­enz­maß­nah­men rei­chen vor die­sem Hin­ter­grund längst nicht aus, um den enor­men Res­sour­cen­be­darf der Bau-Bran­che auch hier in Ham­burg zu decken. „Nach­hal­tig­keit‟ im Bau­sek­tor kann daher nicht auf Ener­gie­ef­fi­zi­enz beschränkt sein, son­dern muss bedeu­ten, dass vor­han­de­ne und neue Mate­ria­li­en in geschlos­se­nen Res­sour­cen­kreis­läu­fen zir­ku­lie­ren. Der Fokus muss dabei auf gesun­den, human­to­xi­ko­lo­gisch unbe­denk­li­chen Mate­ria­li­en lie­gen, um die Lebens­qua­li­tät der­je­ni­gen, die das Gebäu­de nut­zen, zu stei­gern. Für den Gebäu­de­bau in Ham­burg ist die­se Form des zir­ku­lä­ren Bau­ens nach Crad­le to Crad­le eine gro­ße wirt­schaft­li­che Chan­ce. Euro­pa­weit geht die Unter­neh­mens­be­ra­tung McK­in­sey  davon aus, dass eine geschlos­se­ne Cir­cu­lar Eco­no­my die Pro­duk­ti­vi­tät der euro­päi­schen Wirt­schaft bis 2030 um 3% stei­gern kann und dabei mit Kos­ten­er­spar­nis­sen von jähr­lich € 600 Mrd. sowie einem öko­no­mi­schen Mehr­wert von € 1.800 Mrd. einhergeht.

Wir soll­ten uns daher beherzt an die Umset­zung des Leit­fa­den für C2C im Bau für Städ­te und Kom­mu­nen machen — eine Hand­rei­chung, in der Poten­tia­le und Lösun­gen für eine kom­mu­na­le Ent­wick­lung auf­ge­zeigt wer­den, die über Kli­ma- und Ener­gie­neu­tra­li­tät hin­aus geht. Außer­dem soll­ten wir den Hebel nut­zen, die die öffent­li­che Beschaf­fung in Ham­burg hat und uns am Leit­fa­den für eine stra­te­gi­sche Beschaf­fung nach C2C ori­en­tie­ren.  

Was ist dei­ne per­sön­li­che Visi­on für Ham­burg im Jahr 2030?

Ham­burg ist Teil des Netz­werk C2C Regio­nen und ist so mutig Vor­rei­ter in Rich­tung zukunfts­fä­hi­ger, wider­stands­fä­hi­ger, flo­rie­ren­der und lebens­wer­ter Städ­te. Kreis­lauf­wirt­schaft wird kon­se­quent und krea­tiv gedacht, dabei die Chan­cen genutzt, die die Stadt bie­tet: kur­ze Arbeits- und Trans­port­we­ge, die gemein­sa­me und effek­ti­ve Nut­zung von Wär­me, gro­ße Poten­zia­le für die Sha­ring- und Lea­sing-Eco­no­my sowie den Bau von Gebäu­den mit gesun­der Innen­luft, die Fein­staub und CO2 bin­den, Regen­was­ser fil­tern, mehr Ener­gie pro­du­zie­ren, als sie benö­ti­gen, und mehr Grün­flä­che schaf­fen, als sie versiegeln.

Vie­len Dank, Kath­rin! Wir freu­en uns auf die Wei­te­re gemein­sa­me Arbeit mit dir!

Die Fra­gen und das Inter­view wur­den vor­be­rei­tet von Elvi­ra Hinz, wis­sen­schaft­li­che Refe­ren­tin des NFH.