17 Ziele im Fokus mit Frank Schier - Vertreter des Zukunftsrat Hamburg im NFH

Der Zukunftsrat Hamburg ist mit seinen mehr als 100 Mitgliedern die größte Nachhaltigkeitsorganisation in Hamburg. Er bildet ein Netzwerk von NGOs, Unternehmen und anderen Organisationen, die sich zusammengeschlossen haben, um die nachhaltige Entwicklung in Hamburg voranzutreiben. Er wurde 1996 gegründet, um die Umsetzung der Agenda 21 der Vereinten Nationen in Hamburg zu fördern. Seit 2015 wurde die Agenda 21 durch die Agenda 2030 mit ihren 17 Nachhaltigkeitszielen abgelöst.

Der Zukunftsrat hat sich zum Ziel gesetzt, Menschen, Organisationen, Unternehmen und die Verwaltung und Politik in der Metropolregion Hamburg in Bezug auf unterschiedliche Themen der Nachhaltigkeit zusammenzubringen und miteinander zu vernetzen. Dies erreicht er durch die Organisation von Veranstaltungen und durch die Beteiligung an Partizipations-Gremien, wie dem Bündnis Mobilität oder Tschüß Kohle.

Die größte Dringlichkeit sieht der Zukunftsrat in der Bewältigung der Klimakrise und dem Verlust der Artenvielfalt. Dies sind zwei sehr zeitkritische und nicht aufschiebbare Aufgaben. Als Querschnitts-Organisation verfolgt der Zukunftsrat jedoch immer einen ganzheitlichen Ansatz und berücksichtigt soziale und ökonomische Belange unter Einhaltung der planetarischen Grenzen.

Frank Schier ist seit mehr als 6 Jahren mit seiner Firma SCHIERRIEGER Mitglied beim Zukunftsrat Hamburg. 2017 wurde er in den Koordinierungskreis gewählt, den er seit 2019 als einer der Sprecher:innen vertritt. Beim Nachhaltigkeitsforum ist Frank Schier seit seiner Gründung. Sein großes Thema ist die sozial-ökologische Transformation mit den Schwerpunkten Klima- und Artenschutz, Mobilität und Stadtentwicklung und das Thema Suffizienz. Als Inhaber einer Werbeagentur mit Spezialisierung auf Nachhaltigkeit liegt ihm das Thema Nachhaltigkeitskommunikation persönlich besonders am Herzen.

Frank Schier vom Zukunftsrat Hamburg

Für welche SDGs setzt du dich im Zukunftsrat Hamburg ein und wie kannst du diese Arbeit im NFH einbringen?

Als Zukunftsrat Hamburg steht natürlich das Ziel 11, Nachhaltige Städte und Gemeinden, ganz oben. Durch den Auftrag des Senats an den Zukunftsrat, alle Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen in Hamburg bekannter zu machen und durch die vielfältige Mitgliederstruktur mit NGOs und Unternehmen aus den unterschiedlichen Bereichen der Nachhaltigkeit und der Wirtschaft setzen wir uns übergreifend mit fast allen SDGs auseinander. Dabei diskutieren wir diese durchaus kontrovers.

Wie bewertest du den Umsetzungsstand der SDGs in Hamburg?

Viele zivilgesellschaftliche Organisationen, wie der Zukunftsrat, arbeiten in Hamburg und weltweit konstruktiv und beständig an der Erreichung von Nachhaltigkeitszielen. Sie recherchieren, warnen, entwickeln Konzepte, informieren und sensibilisieren für die Themen. Dies tun sie bereits seit Langem, auch schon vor der Verabschiedung der Agenda 2030 und der Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) durch die Vereinten Nationen im Jahr 2015. Durch die Agenda 2030 fanden viele Akteure in der Nachhaltigkeitsarbeit Bestätigung und schöpften neue Hoffnungen auf eine gerechtere und nachhaltige Zukunft. Leider wurden diese Hoffnungen in weiten Teilen enttäuscht. Seit 2015 haben sich die großen existenziellen Krisen, wie das weltweite Artensterben und der Klimawandel, verschärft. Das Ungleichgewicht zwischen Arm und Reich nimmt zu, Demokratien bröckeln, kriegerische Konflikte breiten sich aus und noch nie zuvor waren so viele Menschen weltweit auf der Flucht - vor Vertreibung, Armut, Kriegen oder weil Klima- und Umweltkatastrophen ihre Lebensräume und ihre Nahrungsgrundlagen zerstört haben. Dies steht in krassem Gegensatz zu den Erwartungen, die mit den SDGs verbunden waren.

Und ein Bewusstsein dafür, dass wir hier in Hamburg, als Hafenstadt und Wirtschaftsmetropole und mit unserem Konsum- und Wohlstandsverständnis natürlich ganz maßgeblich mitverantwortlich sind für diese globalen Fehlentwicklungen, hat sich m.E. in der Hamburger Politik, der Verwaltung und der Zivilgesellschaft noch nicht so richtig entwickelt. Bei unseren zahlreichen Gesprächen mit Hamburger Persönlichkeiten aus Politik, der Verwaltung und der Wirtschaft, erleben wir häufig, dass die SDGs entweder schlicht nicht bekannt oder in ihrem ganzheitlichen Anspruch nicht verstanden sind. Und schlimmstenfalls werden die unterschiedlichen Einzel-Ziele argumentativ gegeneinander ausgespielt. Nachhaltigkeit wird in der Politik zunehmend en vogue. Uns fällt auf, dass viele unserer Gesprächspartner:innen argumentativ in dem veralteten 3-Säulenmodell der Nachhaltigkeit hängen geblieben sind. Sofern überhaupt ein Verständnis für Nachhaltigkeit vorhanden ist. Hier bilden Ökologie, Ökonomie und Soziales gleichberechtigt das Fundament der Nachhaltigkeit. Der Zukunftsrat wirbt hier für das Vorrangmodell der Nachhaltigkeit: Hier ist die Grundbedingung für unsere soziale Entwicklung eine intakte und gesunde Ökologie. Und eine soziale und gerechte Gesellschaft ist die Grundlage für eine gesunde, dem Gemeinwohl dienende Wirtschaft. Also stehen auch die SDG in Beziehung zueinander und sind priorisiert abhängig voneinander.

Ein weiterer Punkt ist, dass SDGs sehr oft nur aus der Hamburger Perspektive gedacht werden. Häufig hören wir, wie gut Hamburg doch in den SDGs dastehe. Dann pickt man sich gerne die Ziele zu den Themen Ernährungssicherheit und Zugang zu sauberem Wasser, Bildung, Energie, Gesundheit und Hygiene, Gleichstellung und ähnlichen mit Fokus auf Hamburg heraus ohne dabei zu berücksichtigen, welche teilweise katastrophalen Folgen unser Tun auf den globalen Süden hat. Sogar bei der Erreichung unserer Hamburger Nachhaltigkeitsziele verlieren wir den Rest der Welt häufig aus den Augen. Die Global Goals fordern globales Denken. Da sehe ich selbst unter uns Nachhaltigkeits-NGOs noch großen Diskussionsbedarf.

Worin siehst du die größten Hebelpunkte und Potenziale für nachhaltige Entwicklung in Hamburg?

Den größten Hebel und das Fundament für eine nachhaltige Entwicklung sehe ich darin, dass Politik und Verwaltung ein Bewusstsein für das Ausmaß unserer existenziellen und lebensbedrohlichen Probleme entwickeln und dieses Verständnis an die Bürger:innen weitergibt. Ein Beispiel: Was sollen die Menschen denken, wenn sie in einer gleichen Nachrichtensendung sehen, dass große Teile der Welt brennen oder weggespült werden und in der nächsten Meldung unser Bürgermeister feierlich die Hamburger Cruise Days oder ein neues Flughafenterminal eröffnet. Daraus lässt sich doch nur ableiten, dass die Katastrophen mit unserer Art zu leben, zu konsumieren und sich fortzubewegen nichts zu tun haben.

Und als weiteren Hebel, direkt nach dem Erkennen, sehe ich darin, die Bürger:innen mehr an den politischen Prozessen zu beteiligen. Die aktuellen Herausforderungen mit den zunehmenden multiplen Krisen sind so komplex und scheinen immer weniger überwindbar, dass sie m.E. ausschließlich mit den Mitteln der Repräsentativen Demokratie nicht mehr lösbar sind. Wir hören häufig, dass wir mit der Nachhaltigkeit auch die Bürger:innen mitnehmen müssen. Unsere Empfehlung hier ist die Einberufung eines Bürger:innenrates. Der Zukunftsrat hat zu diesem Thema reichlich Expertise und Ideen und steht hierzu bereits mit anderen NGOs, aber auch mit Teilen der Politik in regem Austausch.

Was sind aus deiner Sicht die notwendigen nächsten Schritte für die Umsetzung der SDGs in Hamburg?

Die 17 Ziele mit den 169 Unterzielen sind ein theoretisches Konstrukt. Bunte Symbol-Bildchen aufhängen oder auf Bierdeckel zu drucken reicht nicht, um sie voranzubringen und bei den Menschen Akzeptanz dafür zu schaffen. Wir müssen sie mit Leben füllen und ins konkrete Handeln kommen. Gerade bei der Klima- und Umweltpolitik brauchen wir in unserem Alltag Symbole für Veränderung. Klare, sichtbare Signale an die Bürger:innen wären z.B. Tempolimits oder die Beendigung von aus heutiger Sicht moralisch verwerflichen Events oder Mega-Bauvorhaben, wie den Cruise Days, der A26 oder der U5. Bestehende und zukünftige Großinvestitionen und Großbauvorhaben sollten grundsätzlich einem ausführlichen Nachhaltigkeitscheck unterzogen werden. Und durch die Einrichtung von Reallaboren für nachhaltiges Leben in den Stadtteilen.

Nachhaltigkeit sollte Chef:innen-Sache sein und direkt unserem Bürgermeister unterstellt werden. Auch das sehe ich als starkes Symbol. Zumindest würde es helfen, wenn die BUKEA mit mehr finanziellen und personellen Mitteln ausgestattet wird für die Umsetzung der SDGs. Hamburg braucht zudem eine ganzheitliche Nachhaltigkeitsstrategie und die schon lange Zeit vom Zukunftsrat und vom Nachhaltigkeitsforum eingeforderten Nachhaltigkeitsindikatoren, um die Umsetzung zu monitoren. Seit fast 20 Jahren veröffentlicht der Zukunftsrat mit dem HEINZ (Hamburger Entwicklungs-Indikatoren Zukunftsfähigkeit) einen eigenen Indikatorenkatalog, um die Veränderungen in der Nachhaltigkeit sichtbar zu machen. Aber klar ist, dass wir unsere Anstrengungen, besonders in Sachen Klima- und Umweltschutz, sofort massiv erhöhen müssen und auf keinen Fall damit warten dürfen, bis die Stadt eine Nachhaltigkeitsstrategie und einen Indikatorenkatalog erstellt hat.

Und es braucht durchaus auch eine kritische Auseinandersetzung mit den SDGs. Denn wer die 17 Ziele mit seinen 169 Unterzielen genau studiert, erkennt schnell, dass bei der Entwicklung der Ziele die planetaren Grenzen nicht beachtet wurden. Hier wird u. A. zur Bekämpfung der Armut eine Annäherung des Lebensstandards des globalen Südens an unseren angestrebt. Es steht außer Frage, was passieren wird, wenn wir unsere Art zu leben in die ganze Welt exportieren, mit einem pro Kopf CO2 Ausstoß von durchschnittlich 10 Tonnen. Zu Recht muss eine in SDG 10 eingeforderte Annäherung der Lebensstandards stattfinden, allerdings, indem wir Industrienationen unsere Konsum- und Lebensweise extrem reduzieren und durch eine gerechtere Umverteilung des bestehenden Wohlstandes.

Was ist deine persönliche Vision für Hamburg im Jahr 2030?

Meine Vision für 2030 ist, dass 2023 von Hamburg aus ein großer Ruck durch den Großteil der Bevölkerung gegangen ist, sich über Deutschland, Europa und die ganze Welt ausgebreitet und eine allumfassende, globale gesellschaftliche Transformation ausgelöst hat.

Die Hamburger Politik hat damals verstanden, dass unser bisheriger Konsum, das Wohnen, unsere Art der Fortbewegung und des Reisens, unsere Ernährung und unser Wirtschaftssystem, auch bei uns in Hamburg eine immer größere Kluft zwischen Arm und Reich erzeugt, dass immer mehr extremistische Strömungen unsere Demokratie gefährden, dass sogar bei uns sich häufende Extremwetterereignisse zu massiven Ernteausfällen und somit zu Nahrungsengpässen führen, dass unser Wohlstand und unser sozialer Frieden gefährdet ist und wir nicht weit entfernt sind von einem wirtschaftlichen Kollaps.

Seit 2023 sind wir ins konkrete Handeln gekommen, haben alle Hindernisse für die Verbreitung von Erneuerbaren Energien aus dem Weg geräumt und massiv ausgebaut. Seitdem haben wir, von Hamburg ausgehend, weltweit das Wirtschaftssystem hin zu einer gemeinwohlorientierten Ökonomie umgebaut und unseren Konsum auf das Nötige heruntergefahren. Wir denken in Kreisläufen und vermeiden Abfälle. Nicht regionale Produkte sind fair gehandelt.

Wir haben schnell verstanden und eingesehen, dass eine Transformation nicht immer nur gemütlich ist, da wir uns von vielen Gewohnheiten verabschieden müssen. Und von allem weniger hat sich erst einmal komisch angefühlt. Aber nach einer Weile haben wir Werte wiederentdeckt, die lange Zeit unter dem Hyperkonsum verschüttet waren. Und es ging uns und unseren Kindern gut. Na, das ging ja gerade nochmal gut. Man wird doch wohl mal träumen dürfen.

Vielen Dank für das Interview, fRANK. Wir freuen uns auf die weitere gemeinsame Arbeit mit dir!

Die Fragen und das Interview wurden vorbereitet von Daniel Eckert, wissenschaftlicher Referent des NFH.

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