17 Ziele im Fokus mit Christine Prießner, Vertreterin der Fair Trade Stadt Hamburg im NFH
Christine Prießner ist privat wie auch beruflich sehr darauf bedacht, nachhaltig zu leben, ohne dass sie es als Verzicht bezeichnet. Seit 2016 ist die studierte Nachhaltigkeitswissenschafterin als Koordinatorin der Fair Trade Stadt Hamburg tätig. Sie unterstützt die Bestrebungen des Fairen Handels als Fachpromotorin explizit mit Forderungen hin zu einer nachhaltigeren öffentlichen Beschaffung, setzt sich für unternehmerische Sorgfaltspflichten ein und schafft durch Mitmachaktionen den Raum für persönliches Engagement. Die Faire Woche ist hier nur ein Beispiel unter vielen.
Für sie, als weiße privilegierte Person, ist Fairer Handel daher absolut selbstverständlich und unabdingbar. Dazu gehören u.a. neben menschenwürdigen Arbeits- und Produktionsbedingungen weltweit auch Geschlechtergerechtigkeit, Anti-Rassismus-Arbeit und transparente, direkte Lieferketten. Sie ist davon überzeugt, dass es aufgrund ökologischer Grenzen kein nachhaltiges Wirtschaften geben kann, sondern nur durch die Anerkennung der multiplen Krisen ein zukunftsfähiges Wirtschaften möglich ist. Letzteres muss auf den planetaren und respektive auf humanitäre Grenzen basieren.
Wie bewertest du den Umsetzungsstand der SDGs in Hamburg?
Die Zivilgesellschaft leistet sehr viel und gibt gute Anstöße, die mitunter von der Stadt nicht anerkannt werden. Politisch und wirtschaftlich sind wir noch weit weg von einer guten bis erfolgsversprechenden Umsetzung, weil noch viel zu viel Angst herrscht, Dinge zu verändern. SDGs müssen als Prozess gedacht werden. Wir sind ganz am Anfang des Prozesses in Hamburg und haben große Probleme damit, mutig neue Schritte zu gehen. Ein paar neue Fahrradwege und Schulterklopfen reichen nicht aus. Die politischen Parteien behindern sich hier meiner Meinung nach gegenseitig, weil es kein Miteinander gibt und Machtverlust an erster Stelle steht. Das ist der falsche Ansatz. Ich denke, dass wir nie fertig sind mit der Umsetzung der SDGs, sondern vielmehr müssen wir jetzt damit anfangen und kontinuierlich daran arbeiten.
Die Stadt Hamburg ist – wie viele andere – spät dran. Es wäre schon vor 10 Jahren sinnvoll gewesen, anzufangen, Energieverbrauch aus Nachhaltigkeitsaspekten zu reduzieren. Nicht die Preise sollten die Debatte dominieren, sondern die Klima- und Gerechtigkeitskrise, in der wir uns befinden.
Worin siehst du die größten Hebelpunkte und Potenziale für nachhaltige Entwicklung in Hamburg?
Das größte Potenzial läge darin, das Thema Nachhaltigkeit als Chef:innen-Sache in der Senatskanzlei zu verankern. Dort muss dann behördenübergreifend an den Herausforderungen gearbeitet werden. Dazu braucht es zuallererst die Anerkennung, dass wir in einer massiven Krise stecken.
Weitere Potenziale lägen z.B. in einer nachhaltigen Ernährungsstrategie für öffentliche Einrichtungen. Dazu gehören vor allem Bildungs- und Verwaltungseinrichtungen, die viel besser personell ausgestattet werden müssen.
Ein weiterer Hebel wäre das authentische und ehrliche Anerkennen, dass es kein nachhaltiges Wachstum geben kann, sondern dass wir ausschließlich darauf bauen sollten, das Vorhandene nachhaltiger zu gestalten. Nicht mehr Autos, sondern mehr Fahrräder und den öffentlichen Nahverkehr finanziell fördern. Menschenrechte und Umwelt müssen einfach an erster Stelle stehen. Hier muss die IFB (Hamburgische Investitions- und Förderbank) nachhaltige Förderkriterien einführen.
Ein wichtiger Hebel wäre, die Behörden übergreifend auf Nachhaltigkeit einzustimmen und ein gemeinsames Verständnis zu erarbeiten, also eine ganzheitliche Nachhaltigkeitsstrategie für Hamburg. Darin läge m.M. nach großes Potenzial, um zukünftig die Kommunikation zwischen den Behörden enorm zu verbessern und um sicherzustellen, dass keine Behörde auf der Strecke bleibt oder sich erst gar nicht oder unzureichend auf den Weg macht.[/vc_column_text][vc_column_text]
Was sind aus deiner Sicht die notwendigen nächsten Schritte für die Umsetzung der SDGs in Hamburg?
Ein wichtiger, unvermeidbarer Schritt ist die Verankerung des Themas Nachhaltigkeit in der Senatskanzlei. Die Stadt kann sich in den aktuellen Krisen kein Silo-Denken leisten, sondern muss sich auf die Expertise der Zivilgesellschaft einlassen und diese Expertise entgeltlich (!) nutzen.
Die Wirtschaftsbehörde muss anerkennen, dass es kein nachhaltiges Wachstum geben kann.
Was ist deine persönliche Vision für Hamburg im Jahr 2030?
Ich wünsche mir, dass der Faire Handel endlich als wertvolles Instrument in der Behörde für Wirtschaft und Innovation anerkannt wird, um Transparenz und Wahrung der Menschenrechte in allen Lieferketten einzuhalten. Ich wünsche mir, dass die Fair Trade Stadt Hamburg als wichtige Partnerin zur Umsetzung der SDGs anerkannt wird und dass dadurch immer stärker die SDGs in der Zivilgesellschaft verankert sind. Zielführend und wünschenswert ist es, dass sich Hamburg am Doughnut-Modell orientiert und ggf. bis dahin auch schon eine Eine-Welt-Bilanz oder eine GWÖ-Bilanzierung vorlegt. Meine Vision wäre, dass sich Hamburg viel stärker an den Wünschen der Zivilgesellschaft orientiert, die sich für Nachhaltigkeit einsetzt.
Wünschenswert wäre auch, dass die koalierenden Parteien sich gegenseitig ernst nehmen und nicht mehr im Konkurrenzmodus, sondern kooperativ zusammenarbeiten. Ohne Angst um Wähler*innenstimmen und ohne Befindlichkeiten, die derzeit vorliegen.
Vielen Dank, Christine! Wir freuen uns auf die weitere gemeinsame Arbeit mit dir!
Die Fragen und das Interview wurden vorbereitet von Daniel Eckert, wissenschaftlicher Referent des NFH.